Briçonnet-Stundenbuch
Entstehungszeit:
Farbenprächtige Tafelmalerei in Buchform
Das Briçonnet-Stundenbuch überwältigt durch seine intensive Farbenpracht im Wechselspiel mit zart schimmernden Goldpartien und bietet eine staunenswerte Galerie von ausschließlich ganzseitigen Miniaturen, die als gerahmte Tafelbilder daherkommen. Das gibt es kein zweites Mal in einem Buch! Große Kunst eines großen Meisters im kleinen Format.
Sorgfältige Malerei mit besonders feinen Pinselstrichen, die sowohl die individuellen Gesichtszüge der wohlproportionierten Figuren als auch die Stofflichkeit ihrer Gewänder genauestens wiedergibt. In architektonischen Räumen und vor stillen, tiefen Landschaften agieren Heilige und biblische Gestalten, die eine ernste Würde ausstrahlen und von denen eine ganz eigene Faszination ausgeht.

Das Briçonnet-Stundenbuch: Die Handschrift
Das Briçonnet-Stundenbuch ist um 1485 in Tours entstanden und insofern neu und einmalig, als hier die in der Ausstattung von Stundenbüchern übliche Hierarchisierung aufgegeben ist und auch untergeordnete Textanfänge mit großen Bildern angezeigt werden. Den Beginn des Marienoffiziums, der Johannes-Passion, der Bußpsalmen und des Totenoffiziums markieren sogar gleich zwei ganzseitige Miniaturen, die auf einer Doppelseite einander gegenübergestellt sind.
Alle 25 Miniaturen sind ganz bewusst wie Tafelbilder angelegt und werden von einem Trompe-l’œil-Zierrahmen umgeben, der bis an die Seitenränder reicht. So ist die Illusion perfekt: Wer im Briçonnet-Stundenbuch blättert, schwelgt in einer Gemäldegalerie!
Ein großer Künstler
Das Briçonnet-Stundenbuch wurde von einem Meister geschaffen, den schon die Zeitgenossen mit Künstlern wie Jean Fouquet, Rogier van der Weyden, Hugo van der Goes, Leonardo da Vinci oder Michelangelo in einem Atemzug genannt haben: Jean Poyer. Um 1445 in Tours geboren, zählte er zu den besten Buch- und Tafelmalern des 15. Jahrhunderts. So arbeitete er für drei Könige von Frankreich und ihre Ehefrauen, nachweislich zwischen 1465 und 1503.
Das Briçonnet-Stundenbuch ist dabei das erste Werk der Buchmalerei, das ihm zugeschrieben wird. In seinem Schaffen wurde Jean Poyer erkennbar von der Architektur und Kunst der italienischen Frührenaissance beeinflusst, die er aus eigener Anschauung kannte.
Ein schillernder Auftraggeber

Das Briçonnet-Stundenbuch: Die Edition

Handschrift und Faksimile im Überblick
Das Briçonnet-Stundenbuch ist mit keinem anderen Stundenbuch aus der Zeit vergleichbar – durch die besondere Art seiner Malerei und die intensiven, ja fast schon knalligen Farben. Im originalgetreuen Faksimile lässt sich die Aura dieser eindrucksvollen Handschrift auf authentische Weise nachspüren.
- Handschrift: Haarlem, Teylers Museum, Ms. 78
- Entstehungszeit: um 1485
- Entstehungsort: Tours
- Format: 21,0 x 14,5 cm
- Umfang: 288 Seiten (144 Blatt)
- Künstler: Jean Poyer
- Auftraggeber: höchstwahrscheinlich Guillaume Briçonnet († 1514), Schatzmeister Frankreichs, Bischof und Kardinal
- Ausstattung: 25 ganzseitige Miniaturen in kraftvoll leuchtenden Farben, verziert mit zarten Goldhöhungen und Silberpartien, zahlreiche vergoldete Zierinitialen mit Trompe-l’œil-Edelsteinen und -Perlen, farbig gestaltete Zeilenfüller auf feinem Pinselgoldgrund
- Einband: dekorativer roter Ledereinband mit reicher Goldprägung auf Vorder- und Rückdeckel, Rücken und Kanten
- Kommentarband von Mara Hofmann / Christine Seidel / Pierre-Gilles Girault
- Kommentarband zur Edition von Mara Hofmann / Christine Seidel / Pierre-Gilles Girault / Roger S. Wieck
- Druckauflage: 680 Exemplare
Ein paar Seiten zum Blättern
Der zum Blättern ausgewählte Ausschnitt aus dem Briçonnet-Stundenbuch gibt die Seitenfolge fol. 9r–12v mit drei ganzseitigen Miniaturen wieder. Die Textseiten, in einer eleganten Lettre bâtarde geschrieben, beginnen jeweils mit einer zweizeiligen Zierinitalie auf Pinselgoldgrund mit floralem Dekor.
Die Miniaturenseiten zeigen die Evangelisten Matthäus (fol. 10r) und Markus (fol. 11v) sowie die im Alten Testament berichtete Ermordung von Amasa, dem Heerführer König Sauls, durch Joab, den Heerführer König Davids (fol. 12v).
Herausforderungen bei der Herstellung: fac simile

Unverwechselbar kräftige Farben
Das Briçonnet-Stundenbuch beeindruckt mit außergewöhnlichen Farben und Kontrasten: kräftige Blau-, Rot- und Grüntöne, sattes Violett. Die Farben, die Jean Poyer im 15. Jahrhundert anmischte, müssen im Faksimile mit den vier Druckfarben wiedergegeben werden. Aus den unterschiedlichen Zusammensetzungen dieser Druckfarben resultiert dann im Druck der jeweils gewünschte Farbton.
Es ist die große Kunst und Erfahrung der Lithographen, genau abzuwägen und festzulegen, wie viel Prozent von welcher Farbe ein bestimmter Farbton ausweisen muss. Erst nach mehreren Andrucken, Vergleichen mit dem Original vor Ort und Korrekturen kann das Gut-zum-Druck erteilt werden.
Zart schimmernde Goldpartien
Im Briçonnet-Stundenbuch sind es neben den Farben vor allem die feinen Pinselgoldpartien, die die Faksimilierung besonders anspruchsvoll machen. In den Miniaturen werden durch die Goldhöhungen verschiedene Details betont, wie Heiligenscheine, Haarsträhnen, Gewandfalten, Stoffmuster, kleinere Dinge und Gerätschaften oder architektonische Elemente.
Pinselgold findet sich auch auf den Textseiten: in den Zierinitialen, Versalien und Zeilenfüllern. Der Lithograph zeichnet auf den Digitalaufnahmen der Seiten jeden einzelnen Goldpunkt minutiös am Bildschirm nach, der dann vom Drucker passgenau gedruckt werden muss, um ein exzellentes Resultat zu erzielen.


Die Faksimilemappe zur Edition

Die handgebundene rote Faksimilemappe zum Briçonnet-Stundenbuch enthält vier Original-Faksimileseiten als Doppelblatt, das einen ersten Eindruck von der ungewöhnlichen Farbenpracht und dem Detailreichtum dieses Meisterwerks vermittelt. Auf fol. 39r findet sich die ganzseitige, wie ein Tafelbild gerahmte Miniatur zu Pfingsten, die in einem halbrunden Innenraum die zwölf Apostel und die Jungfrau Maria zeigt. Auf fol. 40r folgt mit der Weihnachtsminiatur die ebenso seltene wie grandios mit der Darstellung von Licht und Lichtreflexen spielende Darstellung der Geburt Christi als Nachtszene.
Eine 16-seitige Informationsbroschüre führt in die Entstehungszeit der Handschrift ein, gibt Auskunft über Buchmaler und Auftraggeber und erläutert die besonderen Herausforderungen ihrer originalgetreuen Faksimilierung.